Martin Spalek ist Stadt- und Mobilitätsforscher sowie Co-Leiter des Projekts „Campus Zukunft“ an der Hochschule Biberach. Gemeinsam mit seinen Kolleg*innen arbeitet er für einen klimaneutralen Campus 2030 und dafür an den Themen Architektur, Klimaschutz und Mobilität.

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Eins fällt übergreifend auf: Wo in Metropolregionen der Umstieg auf nachhaltige Energieträger, sanfte Mobilitätsnutzung und eine Vernetzung verschiedener Verkehrsarten als möglich erscheint, wird für den ländlichen Raum der motorisierte Individualverkehr und die stete Verfügbarkeit von Parkflächen allzu häufig als alternativlos dargestellt. Und auch beim Blick auf viele Initiativen in unserer Region fällt auf – im Zweifel für das Auto!

Dafür gibt es viele Gründe: Biberach liegt im sogenannten ländlichen Raum. Egal ob täglich oder zum Wochenende – für viele gehört Pendeln zum Alltag. Das dafür die meisten das Auto wählen liegt an eingeübten Mobilitätsmustern ebenso wie an mangelnden Alternativen, ordnungspolitischen und infrastrukturellen Anreizen, die den Pkw gegenüber anderen Verkehrsträgern favorisieren. Nun aber drängt die Zeit, wir müssen Klimawandel und Lebensqualität die notwendige Berücksichtigung zukommen zu lassen. Deshalb lohnt sich ein differenzierter Blick auf das Mobilitätsverhalten in Stadt und Region – und die Transformationsherausforderungen, die damit einhergehen.

Schauen wir in eine Erhebung der Stadt aus dem Jahr 2009: 50% des Verkehrs in der Stadt Biberach ist sogenannter Binnenverkehr, d.h. die Hälfte der Fahrten verlassen die Stadtgrenze nicht. Dazu passt, was die Hochschule 2019 zum Pendelverhalten ihrer Studierenden herausgefunden hat. Viele pendeln weitere Strecken, aber über 60% der Studierenden wohnen unter der Woche auch im 5-10 Kilometer Umkreis der Hochschule. Dass es dafür zu 80% das Auto braucht, können wir sicherlich hinterfragen. Zumal das Pendeln bis zu 75% der Gesamtemissionen des Hochschulbetriebs (sog. Scope 3-Emissionen) verursacht.

Auf den zweiten Blick wird deutlich: Dass mit ländlichen Räumen grundsätzlich fehlende Alternativen verbunden sind, lässt sich für das vernetze Stadt-Land-Gemisch in Oberschwaben immer weniger bestätigen. Mit der Elektrifizierung der Südbahn und dem Start der Regio S-Bahn, mit der Einführung des Deutschlandtickets und Jugendtickets BW, mit einem Busangebot im 15 bis 30-Minuten auf den wichtigsten Linien der Biberacher Stadtwerke sind Weichen gestellt, die eine Auto-lose und dennoch freie Fahrt ermöglichen.

Im Fall der Hochschule legen Erhebungsdaten nahe, dass es für weitere 20% der Studierenden nicht mehr als ein kurzer Fuß- oder Fahrradweg bis zur nächsten Haltestelle an gut erschlossenen ÖPNV-Wege ist. Dabei müssen wir differenzieren: Es ist nicht möglich alle zu erreichen. Und übrigens auch nicht nötig. Der Thinktank Agora Verkehrswende hat in einem Zielszenario ausgerechnet, dass sich die Verkehrsleistung von ÖPNV-, Fuß- und Fahrradverkehr im ländlichen Raum von 9 auf 25% ungefähr verdreifachen muss, um ein klimaneutrales Deutschland bis 2045 zu erreichen. Das heißt: Wenn sich Menschen mit echten Alternativen eben dafür entscheiden, sind vulnerablere Gruppen weniger betroffen.

Frau fährt auf Lastenrad
Frau fährt auf Lastenrad

Warum also nicht auch in einer Stadt im ländlichen Raum Energien bündeln, systematisch Angebote schaffen und denjenigen den Rücken stärken, die freiwillig sanfte und gesunde Mobilitätsformen bevorzugen und sich eine hohe Lebensqualität in einer grünen und offenen Stadt wünschen? 

Biberach hat hierfür beste Voraussetzungen. Als Stadt mit starken Bildungseinrichtungen, zahlreichen Initiativen und klaren Positionen Vieler zur fairen Verteilung des öffentlichen Raums. Die Hochschule arbeitet dazu seit 2019 an der Analyse ihrer eigenen Mobilitätsmuster, an systematischen Experimenten im Bereich Fuß- und Fahrradverkehr und an der Vernetzung der vielen Interessenträger*innen in der Stadt. Im Vernetzungstreffen Sharing-Mobilität entsteht mit der freien Lastenradinitiative Biberad und dem Teilauto-Verein u.a. eine Karte, die das breite Angebot an Leih- und Lademöglichkeiten verschiedener Verkehrsarten sichtbar macht.

Fahrzeugflotte HBC
Fahrzeugflotte HBC

Die Mobilitätswende ist in aller Munde. In Zeiten nicht abebbender Unsicherheit und großer Herausforderungen ist ein probates Mittel wieder ins Visionieren zu kommen.

Biberach kann Fahrradstadt sein! Die Wege zum Einkaufen, zum Kino und ins Café sind kurz, der kurze Plausch an der Straßenecke beliebt, die Suche nach einem Fahrradstellplatz schnell vorbei. Mit Faltrad oder Lastenrad lassen sich viele Aufgaben des Alltags bewältigen. Sichere Fahrradwege und grüne, belebte Wohn- und Erholungsorte lassen Bewegung im menschlichen Tempo zu. In Biberach ist der Weg nicht weit, wenn es zu vielen Schulterschlüssen kommt. Die Hochschule geht hier auf dem Campus und zwischen ihren Standorten wichtige Schritte auf diesem Weg und freut sich über alle, die mit- und vorangehen. Küssen wir Biberach gemeinsam wach!