Prof. Dr. Christian Kulas lehrt an der Hochschule Biberach in der Fakultät Bauingenieurwesen und Projektmanagement Massivbau und Konstruktiven Ingenieurbau und wurde nun zum Vorsitzenden des C³ – Carbon Concrete Composite Verbands ernannt. Im Interview spricht er über seine neue Aufgabe und welche Vorteile er in der Verwendung von Carbonbeton sieht.
Herzlichen Glückwunsch zur Ernennung zum Vorsitzenden des C³ – Carbon Concrete Composite Verbands! Könnten Sie uns zunächst mehr über den Verband und seine Ziele erzählen?
Vielen Dank für die Glückwünsche! Ich freue mich riesig über das Vertrauen der des gesamten Verbands, dass ich diese Aufgabe übernehmen darf. Der Verband C³ ist aus dem gleichnamigen Forschungsprojekt entstanden, das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung mit 45 Millionen Euro von 2014 bis 2022 gefördert wurde. Am Ende der Laufzeit war den über 100 Mitgliedern klar, dass es einen starken Industrie- und Forschungsverband braucht, in dem Themen rund um den Carbonbeton behandelt werden. Die Etablierung eines neuen Baustoffes in der Bauwirtschaft ist – trotz der Vorteile und des enormen Potenzials den Betonbau nachhaltiger zu gestalten – auch mit einigen Hürden verbunden, beispielsweise Zulassungen, Richtlinien und Normen. Um diese Hürden anzugehen, braucht es starke Player, die aus den unterschiedlichsten Bereichen kommen, innovativ agieren und bereit sind an der Industrialisierung, Forschung und Entwicklung des Carbonbetons mitzuwirken. Heute sind Architekt*innen, Ingenieur*innen, Bauunternehmen, Fertigteilwerke, Sanierungsfirmen und Hersteller der Carbonbewehrungen Mitglieder und natürlich auch Hochschulen und Universitäten.
Was hat Sie persönlich dazu motiviert, sich für die Entwicklung und Anwendung von Carbonbeton zu engagieren?
Ich beschäftige mich mit nicht-metallischen Bewehrungen für den Betonbau seit 2006, als ich meine Masterarbeit geschrieben habe. Zufällig habe ich einen Fachartikel über Textilbeton (so hieß der Carbonbeton damals noch) gelesen und war sofort fasziniert. Bis heute motiviert mich die Arbeit mit Carbonbeton, da dieser Baustoff innovativ und bei richtiger Anwendung enormes Potenzial hat: Es können im Betonbau zahlreiche Probleme gelöst werden, Betonbauten können durch Carbonbeton schlanker und dauerhafter ausgeführt und dadurch CO2 und Ressourcen eingespart werden. Ich sehe aber auch dass noch viele Fragen offen sind und viel Aufklärungsarbeit geleistet werden muss. Das motiviert mich heute genauso wie vor 17 Jahren.
Welche Vorteile bietet Carbonbeton im Vergleich zu herkömmlichem Beton, insbesondere im Hinblick auf Nachhaltigkeit und Umweltauswirkungen?
Die konventionellen Stahlbewehrungen, die ja korrodieren können, werden durch Betondeckungen und/oder Oberflächenschutzsysteme vor Korrosion geschützt. Bewehrungen aus Carbon oder auch aus anderen Fasermaterialien korrodieren im Vergleich zu herkömmlichen Betonstahlbewehrungen nicht. Dadurch kann die Betondeckung minimiert und auf Oberflächenschutzsysteme, die nebenbei bemerkt sehr wartungsintensiv sind und viel CO2 ausstoßen, verzichtet werden. Besonders große Vorteile bietet die Sanierung von bestehenden Stahlbetonbauteilen mit Carbonbeton, da das zusätzliche Gewicht durch die Carbonbetonschicht sehr gering ist und somit Bauwerke erhalten werden können, die sonst womöglich abgerissen werden müssten. Im Neubau liegen die Vorteile besonders bei Betonbauwerken, die extremen Bedingungen ausgesetzt sind: Dazu zählen insbesondere Brücken, Parkhäuser und Tiefgaragen. Im Stahlbeton müssen gerade diese Bauwerke aufwändig durch die genannten Oberflächenschutzsysteme geschützt werden, die allerdings überwacht und gewartet und ggf. nach ein paar Jahren erneuert werden müssen. Durch die Verwendung von Carbonbeton braucht man diesen Aufwand nicht mehr zu betreiben.
Inwiefern wird die Hochschule Biberach zu Forschung und Innovationen im Bereich Carbonbeton beitragen?
Die HBC ist seit kurzem ebenfalls Mitglied im C³-Verband und ist somit Bestandteil des über 120 Partner großen Netzwerkes. Ich sehe die Hochschule Biberach besonders in der industrie- und praxisnahen Forschung sowie der Anwendungsentwicklung.
Wie wollen Sie das Thema/Material in Lehre und Forschung an der HBC einbringen?
Ich bin seit März dieses Jahres an der HBC, derzeit laufen schon zwei Bachelorarbeiten, die sich mit Themen aus dem Carbonbeton beschäftigen. Zudem werde ich das Thema sukzessiv in die Vorlesungen einbauen und an geeigneten Stellen den „Blick über den Tellerrand“ hinaus zeigen. Bereits in meinem ersten Semester an der HBC habe ich gemerkt, dass solche innovativen nachhaltigen Themen ein großes Interesse bei den Studierenden wecken. Das motiviert mich, um zukünftig vielleicht sogar separate Veranstaltungen anzubieten, damit die Absolvent*innen gerüstet sind und in ihrem Berufsalltag nicht nur das Standardwerkzeug beherrschen, sondern auch Lösungen „out-of-the-box“ parat haben.
Welche Bedeutung hat Carbonbeton in Bezug auf den modernen Bau und seine Potenziale für zukünftige Bauprojekte?
Beton ist heute der bedeutendste und weit verbreitetste Konstruktionswerkstoff weltweit, allerdings ist Beton bzw. der darin enthaltene Zement ein sehr großer CO2-Verursacher. Deshalb muss etwas im Betonbau passieren bzw. es passiert aktuell schon sehr viel: Es gibt zahlreiche Innovationen im Betonbau und Carbonbeton ist eine wesentliche dabei. Das Ziel muss sein, die Betonbauten zukünftig aus Carbonbeton zu bauen. Dadurch können wartungsarme Betonbauteile entstehen, die eine echte Lebensdauer von 100 oder mehr Jahren haben. Das spart Kosten, Ressourcen und CO2 ein.
Welche Rolle spielt Carbonbeton bei der Bewältigung globaler Herausforderungen wie dem Klimawandel und der Ressourceneffizienz im Bauwesen?
Mehr als die Hälfte der weltweiten Ressourcen verbraucht die Bauwirtschaft und dabei nimmt der Betonbau einen sehr großen Teil ein. Durch Carbonbeton kann bei richtiger Anwendung Material eingespart werden. Beispielsweise können Betonfassaden bei gleicher Leistung nur halb so dick gebaut werden. Es gibt zudem zahlreiche Beispiele von Fuß- und Radwegbrücken, die mit 40 bis 60% weniger Beton auskommen, wenn man Carbonbewehrungen verwendet. Also, wenn Carbonbeton an der richtigen Stelle eingesetzt wird, dann wird er in Zukunft eine dominierende Rolle spielen. Er wird nicht all unsere Klima- und Ressourcenprobleme lösen, aber einen entscheidenden Beitrag leisten.
Welche Projekte oder Initiativen plant der C³ - Carbon Concrete Composite Verband unter Ihrem Vorsitz?
Seit ich im erweiterten Vorstand des C³ aktiv bin, stehe ich dafür, dass ein starker Verband erforderlich ist, der in erster Linie die Entscheider*innen aus der Bauwirtschaft vereint. Das sind Architekt*innen und Ingenieur*innen, Bauherr*innen und Betreiber*innen, ausführende Unternehmen wie Fertigteilwerke, Bauunternehmen und Sanierungsfirmen sowie die Hersteller der Bewehrungen. Wir müssen Aufklärungsarbeit betreiben, die Bedenken aufnehmen und beheben. Zudem ist nach über 25 Jahren Grundlagenforschung, Entwicklung und Transfer in die Industrie das Thema Carbonbeton bei vielen Akteuren immer noch unbekannt oder zumindest nicht soweit bekannt, dass es im Alltag regelmäßig eingesetzt wird. Diese Aufklärungsarbeit sehe ich im C³-Verband.
Gibt es konkrete Anwendungsbeispiele für Carbonbeton, die Sie besonders beeindruckt haben?
Ja, da gibt es mehrere. Es ist vor allem die Sanierung einer Hyparschale in Magdeburg, eine beeindruckende Konstruktion des bekannten Bauingenieur Ulrich Müther aus den 1960er/1970er-Jahren, die durch Carbonbeton erhalten und saniert wurde. Zudem ist die Sanierung des Mariendoms zu Neviges, geplant von Gottfried Böhm in den 1960er Jahren, ein herausragendes Beispiel zur Leistungsfähigkeit von Carbonbeton. Im Neubau ist es vor allem das erste Parkhaus aus Carbonbeton, das von der Firma Goldbeck gebaut wurde. Die Fassade des Montblanc-Hauses in Hamburg ist aus meiner Sicht eine architektonische Meisterleistung im Bereich des Fassadenbaus.
Welche Vision haben Sie für die Zukunft von Carbonbeton und seine Rolle in der Bauindustrie?
Carbonbeton muss Standard werden und damit meine ich jetzt nicht ausschließlich, dass es eine Norm geben muss, sondern dass er Standard im Planungsprozess wird; dass Planer*innen diesen neuen Baustoff im Repertoire haben, die Vor- und Nachteile kennen und Carbonbeton dann an der richtigen Stelle einsetzen. Darüber hinaus ist meine Vision, dass es Standard werden sollte, nachhaltig zu bauen und Entscheidungen nicht nur auf Basis der Entstehungskosten zu fällen. Vielmehr müssen Lebenszykluskosten und vor allem der Einfluss des geplanten Bauwerks auf unsere Umwelt über den gesamten Lebenszyklus bis hin zu Abbruch und Recycling betrachtet werden. Erst dann sind wir in der Lage nachhaltig zu bauen.
Abbildung: Prof. Christian Kulas