Ob in Privathaushalten, Kommunen oder Unternehmen: die Energiewende muss dezentral umgesetzt werden. Doch wenn es an Expertise und Vorstellungskraft mangele, würden die Debatten oftmals durch Spekulationen oder Partikularinteressen geleitet, so die Beobachtung der Professoren Dr.-Ing. Christof Gipperich und Martin Schubert von der Hochschule Biberach (HBC). „Dadurch geht Zeit verloren, die wir nicht haben“, sind sich die Experten, die im Studiengang Bau-Projektmanagement lehren, einig.

Einen Lösungsansatz sehen sie im agilen Management, das Methoden bietet, um mit Veränderungsprozessen in unsicherem Umfeld umzugehen. „Unter Einbezug erfahrener Fachleute werden u.a. Prototypen gebaut, die in Testschleifen mit möglichst hoher Geschwindigkeit validiert und optimiert werden“, erläutert Professor Gipperich. Bei diesem sogenannten „Rapid Prototyping“ werde gerade nicht daraufgesetzt, alle verfügbaren Informationen zu sammeln. „Das kostet viel Zeit und mündet in eine Endlosschleife, wenn Rahmenbedingungen rasch ändern“, ergänzt Professor Schubert.

Für eine Projektarbeit des 7. Semesters im Bachelor-Studiengang Bau-Projektmanagement/Bauingenieurwesen haben die Lehrenden deshalb ein Thema ausgegeben, für das sich die Studierenden mit der Energiekrise befassen – und diese agilen Methoden anwenden. Ihre Fragestellung für das vergangene Sommersemester – da hatte der Krieg in der Ukraine gerade begonnen – lautete, wie der Landkreis Biberach die Energiewende schaffen kann.

16 Studierende haben sich dafür in unterschiedliche Teams aufgeteilt: Die einen verschafften sich auf Basis von Daten der Energieagentur Biberach einen Überblick über die Verbräuche, eine andere Gruppe prognostizierte diese in die Zukunft, das dritte Team befragte die Menschen im Landkreis nach ihrer Meinung und eine vierte Gruppe befasste sich mit Softwareprogrammen, mithilfe derer sich verschiedene Lösungen anschaulich darstellen lassen. In einer sehr frühen Phase ihres Projekts begaben sich die Studierenden ins Design Thinking Lab der Hochschule. Hier prototypten, also überprüften sie ihre Ideen anhand von vereinfachten Versuchsmodellen und konkretisierten ihre Überlegungen für einen Energiewendekonfigurator, in dem sie alle Informationen zusammenführen und die Bürger*innen im Landkreis motivieren wollen, einen Beitrag zur Energiewende zu leisten. 

Gruppenarbeit
Gruppenarbeit

Zum Ende des Semesters stellten sie tatsächlich eine Online-Plattform vor, in der die User drei verschiedene Szenarien durchspielen und so nachvollziehen können, was es konkret bedeutet, den ein oder anderen Weg zu beschreiten. „Wir haben drei Stufen entwickelt“, erläutert der 25-jährige Tobias Bohn, „doch nur der sogenannte Biberacher Weg führt tatsächlich zum Erfolg“. Bedeutet: „Die Kombination aus Solar und Windkraft bringt die besten Effekte und reduziert den CO2-Foodprint in der Region ausreichend“. Andere Szenarien – z.B. die Konzentration auf eine rein solare Lösung unter Verzicht auf Windkraft – führten nicht zum gewünschten Erfolg, denn der CO2-Foodprint lässt sich nicht ausreichend reduzieren und eine solche Lösung erfordere ein Mehrfaches an Investitionen. Die Botschaft der Studierenden ist klar: „Es braucht einen schnellen Ausbau – in aller Konsequenz und mit Wind und Solar“, so Bohn. Die inzwischen bekannte Information, dass eine ausgebaute Windenergienutzung im Konflikt zu den Übungsrouten des Hubschraubergeschwaders am Bundeswehrstandort Laupheim steht, kam erst nach Projektende auf. Die Studierenden sehen diese Wendung mit Gelassenheit, denn das von ihnen entwickelte Dashboard kann veränderte Rahmenbedingungen 1:1 abbilden. „Der Landkreis kann klar erkennen, wie sich Entscheidungen auf die Gesamtsituation auswirken – die Übungsflüge machen die Biberacher Energiewende richtig teuer“, so Bohn, der in dem Projekt als Teamleiter fungierte und sich um die Datensammlung, -aufbereitung sowie die Prognosen kümmerte.

Wie aber funktioniert der Konfigurator? In der App findet der User umfangreiche Informationen vor, etwa wie sich die Bestandssituation im Landkreis derzeit darstellt: Wie viel Energie wird erzeugt, wie viel CO2 ausgestoßen, wie viel Windkraft oder PV-Dachflächen werden bereits heute genutzt? Die Daten können fortlaufend aktualisiert werden. Im zweiten Schritt können sich die Nutzer auf einer dreidimensionalen Karte im Landkreis bewegen und nachvollziehen, wie der „Biberacher Weg“ im Jahr 2030 aussieht, der auch vorsieht, dass die im Landkreis benötigte Energie auch in der Region produziert wird. Der User kann sich an die einzelnen Windräder heranzoomen und erkennen, wo genau die Anlage steht, welchen Schattenwurf sie verursacht und wie weit sie von der nächsten Ortschaft entfernt liegt. Jeder Standort ist mit wichtigen Hintergrunddaten verknüpft, die sich per Mausklick in einem Popupfenster aufrufen lassen, erläutert Christian Krach, der zum Team Software gehörte. Gleiches gilt für Photovoltaik-Freiflächen. Den Standort jeder Anlage kann der Nutzer verändern. „Not in my Backyard“, also nicht in meinem Hinterhof nennen die Studierenden das Verhalten vieler Menschen, „die zwar grundsätzlich nichts gegen Erneuerbare Energien-Anlagen haben, diese aber nicht in ihrer unmittelbaren Nähe akzeptieren“, erläutert Jonathan Haide, der gemeinsam mit seiner Kommilitonin Carolin Pandrock die Projektleitung für das ehrgeizige Vorhaben übernommen hatte.

Energiewendekonfigurator Landkreis Biberach

Mit ihrem Konfigurator verbinden die Studierenden die Hoffnung, den Menschen Ängste zu nehmen, in dem sie Transparenz schaffen und sie zu Akteur*innen machen. Dass die App die Menschen in der Region spielerisch in die Lage versetzt, sich mit Lösungsmöglichkeiten in den Bereichen Wärme, Strom und Mobilität auseinanderzusetzen, begrüßt auch der Erste Landesbeamte Walter Holderried, denn der Landkreis wolle politische Entscheidungen richtungsweisend umzusetzen und eine Vorbildfunktion einnehmen. Hierfür könne der Energiewendekonfigurator eine Grundlage bieten und wichtige Zusammenhänge aufzeigen. „Ich würde mich freuen, wenn die Hochschule in Abstimmung mit dem Landkreis und unserer Energieagentur diese Unterstützung weiter ausbauen und bedarfsorientiert ergänzen könnte. Daran hat auch Walter Göppel, Hauptgeschäftsführer der Energieagentur Biberach-Ravensburg Interesse. „Wir unterstützen nicht nur Städte und Gemeinden dabei, Energie und Ressourcen effizient einzusetzen“, so Göppel. Diese unabhängige Beratungsleistung könne durch geeignete, wissenschaftsbasierte Komponenten wie den Konfigurator ergänzt werden. Tatsächlich ist in einem weiteren Studienprojekt geplant, dass die Analyse der Bau-Projektmanager unter Leitung von Prof. Dr.-Ing. Roland Koenigsdorff aus dem Studiengang Energie-Ingenieurwesen und mit Beteiligung des Instituts für Gebäude- und Energiesysteme (IGE) der Hochschule Biberach weiter verfeinert wird.


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