Wie entwickelt sich der Energiemarkt – und was bedeutet dies für den Geldbeutel der Verbraucher*innen? Professor Dr. Stefan Ulreich von der Hochschule Biberach (HBC) erklärt die komplexen Zusammenhänge der Energiewirtschaft.

Klimakrise und Krieg – die Energiepreise haben zuletzt eine Achterbahn hingelegt. Werden sie sich wieder stabilisieren?

Ja, auf hohem Niveau. Die stärksten Preissteigerungen haben wir inzwischen hinter uns gelassen, inzwischen haben die Preise auch nachgegeben. Für den Rest des Jahrzehnts aber sieht der Markt die Preise immer noch um 200 Prozent teurer im Vergleich zu 2017. Das ist dem Ersatz des Pipelineerdgases durch Flüssiggasimporte geschuldet. Bei den Endkunden kommen die Großhandelspreise gedämpft an, da andere Komponenten wie Steuern oder Netzentgelte nicht von der Marktentwicklung abhängig sind.

Müssen sich Verbraucher*innen langfristig auf einen Preisanstieg vorbereiten?

Sie sollten sich in erster Linie auf ein weiterhin hohes Energiepreisniveau einstellen. Die Schwankungen der Marktpreise werden hoch bleiben, da das Energiesystem in Europa sehr auf Kante genäht ist. Erst eine Angebotsverbreiterung wird hier für mehr Ruhe sorgen.

Wie hängt dies mit dem CO2-Preis zusammen?

Der CO2-Preis beeinflusst im Strommarkt die Produktionskosten und bestimmt damit das Marktpreisniveau. Hohe CO2-Preise sorgen dafür, dass CO2-arme und CO2-freie Stromerzeugung einen wirtschaftlichen Vorteil erhält und damit bevorzugt eingesetzt wird. Allerdings führt das auch zu höheren Strompreisen. Umweltökonomen sehen darin die Möglichkeit, Verbraucher zu mehr Sparsamkeit beim Umgang mit Energie anzureizen. Man sieht an diesem Beispiel auch, dass hohe Preise nicht nur negativ zu betrachten sind. Energieeffizienz erfährt dadurch Anreize, ebenso ist dann das Interesse an Neubauprojekten bei der Energiebereitstellung groß, was zu mehr Angebot und niedrigeren Preisen führt.

Wirken sich die Energiepreise auch dauerhaft auf andere Produkte aus, so wie wir es zuletzt erlebt haben?

Natürlich spielen Energiepreise im Hintergrund bei einer Reihe von Produkten eine wichtige Rolle. Wie stark diese Kostensteigerungen bei der Produktion an die Kunden weitergegeben werden können, hängt von einer Reihe von Faktoren ab: Wie hoch ist die Zahlungsbereitschaft für das Produkt, wie intensiv ist der Wettbewerb, wie hoch sind die Margen für das Produkt?

Wie sieht es auf Industrieseite aus?

Wir sehen in Deutschland seit einigen Jahren, dass der sogenannte Kapitalstock der energieintensiven Industrie schrumpft. Diese Entwicklung dürfte beschleunigt werden wie z.B. die Entscheidung von BASF zeigt, am Standort Ludwigshafen weniger Ammoniak zu produzieren, ein Grundstoff für die Düngemittelproduktion. Wir sollten uns darauf vorbereiten, dass bestimmte energieintensive Produktionen in Deutschland nicht mehr stattfinden wird.

Mit Ihren Themen sind Sie bundesweit ein gefragter Experte, Auftritte bei verschiedenen Tagungen sind in den kommenden Wochen geplant. Worum geht es?

Die Branche treibt eine Menge von Themen um: Zum einen natürlich die Preise – sowohl die Höhe als auch die Schwankungen, Eingriffe durch den Staat, Sorgen und Nöte der Kunden, der schleppende Infrastrukturausbau z.B. bei Netzen und bei der Stromerzeugung, Beschaffung grüner Energie, Zukunftsthemen wie Wasserstoff und natürlich das Erreichen der Klimaziele. Während jedes Ziel für sich vielleicht noch einfach anzugehen wäre, sind vor allem die unvermeidbaren Zielkonflikte, die knappen Personalressourcen und die eng getakteten Zeitpläne ein Riesenthema.

Machen wir es an zwei Beispiel konkret. Die Papier- und Zellstoffindustrie Europas diskutierte in Prag die Klimaziele für die Branche und die Zukunft ihrer Energieversorgung…

Papier- und Zellstoff ist eine der energieintensivsten Branchen, die u.a. auch Verpackungs-material herstellen. Während Teile der Energieversorgung aus der Biomasse gewonnen werden können, sind auch andere Energiequellen nötig. Klimaziele spielen hier eine wesentliche Rolle, daher ist eine wettbewerbsfähige Energieversorgung ein Thema, um im internationalen Wettbewerb standhalten zu können, aber auch eine Bewertung der Klimaschutzmaßnahmen.

Und Stadtwerke bundesweit in Berlin die Frage, wie sie die Versorgungssicherheit trotz aller Risiken garantieren kann…

Stadtwerke sind natürlich sehr nahe an den Kunden. Diese erleben die Probleme durch die gestiegenen Endkundenpreise hautnah mit, sind intensiv dabei Lösungen zu erarbeiten – sehen aber auch die Probleme, dass bestimmte Maßnahmen unwahrscheinlich lange Umsetzungszeiten haben. Der Netzausbau zB ist in Deutschland seit Jahren ein bekanntes Trauerspiel, ebenso die Digitalisierung der Verteilnetze.

Zurück zu Studium und Lehre: Wieso sollten junge Menschen sich für die Energiebranche entscheiden?

Es gibt nur wenige Branchen, die für eine Volkswirtschaft eine derart zentrale Bedeutung haben wie die Energiewirtschaft. Zudem ist es eine Branche, die seit mehr als zwei Jahrzehnten gewaltige Umwälzungen hinter sich hat und in der auch für die Zukunft mit großen Änderungen zu rechnen ist: Es bleibt also spannend!

Welche Interessen oder Talente sollten Studieninteressierte mitbringen?

Die Branche hat vielfältige Einsatzfelder und verbindet verschiedene Bereiche: Vertrieb, Marketing und Kommunikation, Handel und Strategie, (Energie-)Politik, Technik und Umwelt. Das ist für (fast) jedes Intereresse und Talent etwas dabei. Als BWLer mit Schwerpunkt Energiewirtschaft stehen dabei die ökonomischen Themen im Vordergrund, also was ist wirtschaftlich sinnvoll, wie kann man die Arbeit organisieren, welche kurz- und langfristigen Folgen haben Entscheidungen?

Zur Person:

Prof. Dr. Stefan Ulreich lehrt im Studiengang BWL Energie und Klimaschutz Energiehandel, Risikomanagement und Energiepolitik. Er beschäftigt sich vor allem mit den Themen Großhandelsmärkten, Beschaffungsstrategien und Risikomanagement und der Frage, was Deutschland in der Energiepolitik von anderen Ländern lernen kann.

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