Wenn der Wind in die insgesamt 800 Quadratmeter großen Segelflächen greift, dann krängt sich der 47 Meter lange Dreimaster und nimmt Fahrt auf. Das Oberdeck neigt sich der Wasserlinie entgegen, die Wellen, die auf offener See meterhoch sein können, klatschen über die Reling. Ob Sonne oder Regen spielt dann keine Rolle, Hauptsache der Wind steht gut. Die Segelcrew der Hochschule Biberach (HBC) wird auf ihrem Törn immerhin bis zu 9 Knoten erreichen. Ungeübte Segler*innen bleiben bei dieser Geschwindigkeit von rund 16 Stundenkilometern und der mitunter unruhigen See besser an Deck und richten den Blick gen Horizont. Mit der Zeit wird sich der Körper an den Wellengang gewöhnen, die Übelkeit lässt nach. „Tatsächlich hatten an Tag 1 unserer Exkursion Energy Sail einige Crewmitglieder mit der Seekrankheit zu kämpfen“, berichtet Organisator Peter Knoll im Nachgang. Der Energie-Ingenieur ist Ideengeber dieser besonderen Exkursion, die an der HBC zu den größten und spektakulärsten Reisen zählt, die Studierende während ihres Studiums unternehmen können.

Menschen beim Segeln

Der niederländische Thalassa-Eigentümer Jacob Jan Dam hat mit seinem Schiff schon an der „Race of Classic“ teilgenommen, Urlaubern und anderen Gruppen bietet er Reisen mit verschiedenen Zielen auf der Ost- oder Nordsee an. Mit den 30 Biberacher Exkursionsteilnehmer*innen wird sein Team einen zehntägigen Trip unternehmen und über Rügen nach Bornholm, Ystad, Kopenhagen, Wismar und zurück nach Rostock segeln. Die ganztägigen Segeletappen, wird Student Benno Schedlbauer nach der Exkursion sagen, zählen zu seinem „persönlichen Highlight“. Der 23-jährige Masterstudent tritt die Reise ganz ohne Segelerfahrung an – und genießt das besondere Reiseformat in vollen Zügen, begeistert beteiligt er sich an den Arbeiten an Deck: Knoten üben, Anker lichten, Segel hissen und nach ein paar Tagen hoch hinaus in die Takelage klettern.

An Bord fassen alle Hochschulmitglieder – an der Exkursion nehmen Studierende, Professoren und Mitarbeitende teil – mit an und unterstützen die Thalassa-Crew nach Kräften, an Decke ebenso wie in der Kombüse. Zur Besatzung gehören Kapitän Maarten, Vollmatrose Alex, Vollmatrosin Noor und der Koch Bas, alle anderen sind einfache Leichtmatros*innen – „Alter, Geschlecht oder Titel machen hier keinen Unterschied“, sagt Peter Knoll.

Segelboot bei Sonnenuntergang
Segelboot bei Sonnenuntergang

Die Studierenden – alle sind sie entweder im Bachelor Energie-Ingenieurwesen oder im Master Energie- und Gebäudesysteme an der Hochschule Biberach eingeschrieben – werden nach dem Studium ihren Beitrag für gelingende nachhaltige Energiekonzepte leisten. Damit gehören sie zu gefragten Fachkräften, die von der Industrie, Kommunen oder Ingenieurbüros händeringend gesucht werden. An diesem Abend aber genießen sie einfach nur den Strand von Rønne, inklusive einem Sprung ins kalte Wasser. In den kommenden Nächten wird die Thallassa zwei Mal auf offener See ankern. Auch dann wagen einige den Sprung in die etwa 16 Grad kalte Ostsee.

Gruppenbild auf Segelboot
Gruppenbild auf Segelboot

„So werden aus Landratten Wasserratten“ bemerkt Peter Knoll lachend. An Bord werden sie an diesem Abend von Pascal Belschner auf die Besichtigung des schwedischen Fernwärmekraftwerk Ystad vorbereitet, die am nächsten Tag auf dem Programm steht. Jede*r Studierende hat im Vorfeld der Exkursion ein Referat vorbereitet, mit dem die restlichen Crew-Mitglieder über die Besonderheiten der Reise vorbereitet werden. Auch wird es um Seekarten, Navigieren auf See, Wetterkunde und Lichtsignale gehen. Diesen Part übernimmt der Kapitän.

Dann fährt der Großsegler in den Hafen von Kopenhagen ein. An diesem Tag ist es sonnig und warm, die Crew tauscht die wasserdichten Outdoorjacken gegen ein leichtes Sommeroutfit. Menschen winken, der historische Dreimaster erzeugt seine Wirkung, stolz erwidern die Exkursionsteilnehmer*innen den Gruß. Für Bachelor-Studentin Lena Lisowski zählt der Aufenthalt in der dänischen Hauptstadt zu den Höhepunkten der Reise. Die ansteckende Lebendigkeit der Stadt, in der auch die königliche Familie residiert, hat es ihr angetan. Zwischen Schlosss Amalienborg, dem königlichen Sitz, und der Oper darf die Thalassa festmachen. Zwei Tage verbringen die Exkursionsteilnehmer*innen hier, entdecken die Stadt und die Kneipen und sind froh, endlich mal wieder festen Boden unter den Füßen zu haben und sich ausgiebig bewegen zu können.

Schon während der Stadtführung fällt der Blick der Biberacher Exkursionsgruppe immer wieder auf ein hohes Gebäude mit einer ungewöhnlichen Form: Das Kraftwerk Copenhill ragt weit über die Skyline hinaus und ist eine Müllverbrennungsanlage mitten in der Stadt. Das klingt nach Dreck und Gestank, doch die Dänen beweisen, dass dies auch anders möglich ist. Für die Besichtigung nimmt sich die Gruppe einen Nachmittag Zeit. Das Müllheizkraftwerk ist nicht nur umweltfreundlich, sondern bietet auf dem Dach Skipisten aus Kunststoffmatten, Wanderwege, Trails in wilder Naturlandschaft und die mit knapp 90 Meter höchste Kletterwand Europas. Bei einer Führung erleben die Exkursionsteilnehmer*innen die unglaublichen Dimensionen des Kraftwerks, berichtet Lisowski. „440 000 Tonnen Abfall werden hier jährlich zu Strom verarbeitet“.

Wie der Energy Sail Segeln und Energietechnik direkt zusammenführt, das zeigt sich der Crew auch, als sie mit ihrem Schiff den Windkraftpark Arkona ansteuern. Die Bedingungen – viel Sonne und eine stabile Brise aus Süd-Ost – sind perfekt und Kapitän Maarten erhält über Funk die Freigabe, den Sicherheitsabstand von 500 Metern unterschreiten zu dürfen. Die Thalassa kann bis auf 150 Meter Entfernung heransegeln und die Energie-Ingenieur*innen bestaunen den spektakulären Blick über die 60 Windräder.

Schon zuvor haben Mitarbeitende des Betreibers RWE die Spezifika der Offshore-Anlage erläutert. Die Fundamente werden je nach Tiefgang bis zu 40 Meter tief eingesetzt; alle 60 Anlagen sind mit jeweils 1200 Sensoren sowie einer Wetterstation ausgestattet. So können die Rotoren entsprechend gepitcht, also in den Wind gedreht werden. Insgesamt erzeugt der 1,2 Milliarden Euro teure Windpark Arkona eine Maximalleistung von 385 Megawatt, „rechnerisch können damit rund 400 000 Haushalte versorgt werden“, schätzt Peter Knoll.

 Störmeldungen können größtenteils von der Leitwarte über einen Remote-Zugriff behoben werden, zusätzlich warten täglich Servicemitarbeiter*innen die Anlage. Müssen Teile ersetzt werden, kommen Kran und Lastenzug zum Einsatz, mit dem jede einzelne Windkraftanlage ausgestattet ist. Zur Orientierung: Jede Anlage hat eine Nabenhöhe von 102 Metern, die einzelnen Rotorblätter sind fast 74 Meter lang. „Ein solcher Offshore-Windpark ist ein imposanter Anblick“, sagt Lena Lisowski, die das Thema Windenergie sehr spannend findet.

Lachende Person beim Kochen
Lachende Person beim Kochen

Diese Mischung aus fachlichen Einblicken, Segelabenteuer und Teambuilding ist es wohl, was den Energy Sail so besonders macht. Ideengeber Peter Knoll ist dankbar, dass die Exkursion nun bereits zum dritten Mal Realität werden durfte. Als er seinen Vorschlag vor fast 10 Jahren einbrachte, reagierte die damalige Leitung des Studienganges Energie-Ingenieurwesen sehr positiv. Dass die Kolleg*innen vom Energy Sail begeistert sind, zeigen auch die Anmeldungen: Für die Törns 2014 und 2018 heuerten jeweils Professoren an, in diesem Jahr zählten Martin Becker und Volker Wachenfeld zur Crew. Wie ihre Kollegen zuvor sind sie sicher: Es soll nicht der letzte Energy Sail gewesen sein.