80 Prozent der Menschen, die bei uns Rat suchen, wohnen in Ein- oder Zweifamilienhäusern aus den 80er Jahren. Barrierefreiheit und eine moderne technische Ausstattung finden wir hier in der Regel nicht vor

Daniele Wiedemann, Projektkoordinatorin für den Bereich Wohnberatung der Caritas Biberach-Saulgau

In solchen Fällen vermittelt Daniela Wiedemann einen Hausbesuch durch ehrenamtliche WohnberaterInnen oder Technikbotschafterinnen. Sie analysieren die Situation vor Ort und zeigen Möglichkeiten auf. Dabei ist meist eine schnelle Lösung gefragt, wenn sich die Situation, etwa nach einem Krankenhausaufenthalt, unerwartet ändert. Dabei hilft es, wenn die Betroffenen und ihre Angehörigen anhand von Musterkoffern oder gar Musterwohnungen erleben können, welche Hilfsmittel oder Umbaumaßnahmen die Situation erleichtern würde.

Die aktuelle Pandemiesituation jedoch hat die Beratung vor Ort erschwert – und Daniela Wiedemann vor Augen geführt, wie wichtig digitale Lösungen sind. Deshalb hat sie sich an die Hochschule Biberach (HBC) gewandt und im Studiengang Bau-Projektmanagement um Unterstützung gebeten. Denn dort betreiben die Professoren Hannes Schwarzwälder und Christof Gipperich das BIM-Lab, das Labor für Building Information Modeling, in dem Gebäude digital abgebildet werden können. In einem solchen virtuellen Raum kann man sich durch ein Haus oder eine Wohnung bewegen. Daniela Wiedemann wollte wissen, ob eine solches Modell auch für die Wohnberatung der Caritas einsetzbar wäre. Mit ihrem Anliegen traf sie auf offene Ohren – und bereits im aktuellen Sommersemester befasste sich eine Gruppe von Studierenden mit ihrem Anliegen.

Zum Ende des Sommersemesters werden die Studierenden ihr Projekt beim P-Tag präsentieren, einem Aktionstag des Studienganges, an dem verschiedene Teams ihre Ergebnisse der Hochschul-Öffentlichkeit präsentieren. Ihrer Auftraggeberin Daniela Wiedemann gaben die Studierenden vorab einen Einblick. Und um es vorweg zu nehmen: Die Caritas-Beraterin ist begeistert. Denn das Team hat nicht nur ein digitales Musterhaus erstellt, durch das sich der User bewegen und – jeweils an typischen Fallen wie Schwellen, Treppen oder zu engen Türen – alternative Lösungen abrufen kann. Die Studierenden haben darüber hinaus eine App entwickelt, die umfassend zum Thema Wohnen im Alter informiert und als digitaler Ratgeber die am häufigsten gestellten Fragen beantwortet.

Die App kann über ein Tablet oder einen Browser aufgerufen werden und soll die WohnberaterInnen und TechnikbotschafterInnen der Caritas in ihrer täglichen Arbeit unterstützen. Auch Betroffene und ihre Angehörigen können sich mithilfe der App einen Überblick verschaffen: Welche Wohnformen gibt es, welche bauliche Veränderungen sind sinnvoll, welche digitalen Tools erleichtern Senioren den Alltag und welche Angebote zur Teilhabe finden sich im Landkreis Biberach? Dabei sorgt ein Filter dafür, dass die User nicht den Überblick verlieren: „Über zwei Einstiegsfragen wird der Schweregrad der Einschränkung eingeordnet und über einen Filter nur die dafür passenden Leistungen angeboten“, erläutert Fabian Neuhauser, einer der beiden Projektleiter des Teams.  „CariCon“ haben die Studierenden ihre Entwicklung genannt – „ein Wortspiel aus Caritas, Construction und Connected“, ergänzt sein Kommilitone Jan Hereth und verrät den Slogan, mit dem sie die App vermarkten wollen: „Unserer Zukunft näher“.

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Dabei war das Thema für die Projektleitung und ihre KommilitonInnen zunächst alles andere als naheliegend, doch schnell haben die Studierenden des Masterstudienganges Projektmanagement den passenden Zugang zum Projekt gefunden. Dabei half ihnen der Prozess des Design Thinkings, einer Methode, die in der Industrie immer mehr Anwendung findet und auch an der Hochschule Biberach gelehrt wird. Über ein bestimmtes Verfahren werden Ideen entwickelt, überprüft, korrigiert und weiter ausgearbeitet. „Dieses Vorgehen hat uns rasch die Augen geöffnet und den Blick auf das Wesentliche gelenkt: die Bedürfnisse der Betroffenen“.  Und so haben die Studierenden angeleitet durch Professorin Isabell Osann nach und nach entdeckt, wie sie die Kompetenzen, die sie als Bau-Projektmanager lernen, auf das Caritas-Projekt anwenden können. Entstanden ist ein digitales Tool – zunächst für Daniela Wiedemann und ihr Team. „Da ist etwas wirklich Innovatives entstanden“, sagt die Projektkoordinatorin und ist sich sicher, dass die Idee „sehr bedeutend für die Zukunft der älteren Menschen“ sein wird. Es scheint als wäre der Slogan tatsächlich passend: „Unserer Zukunft näher“.