Bühnenbild: avanti_photo

Twitter – inzwischen X – und andere Social-Media-Plattformen sind aktuell stark in der Kritik, nicht nur vor dem Hintergrund des Machtwechsels in den USA und der direkten Einflussnahme von X-Besitzer und US-Milliardär Elon Musk. Nahezu 300 Millionen User sind täglich auf der Onlineplattform unterwegs und zwitschern ihre Meinungen.

Wie Noah Stoll auf die Idee gekommen ist? In seinem Masterstudium absolvierte er ein Auslandssemester an der Dublin Business School. Die Zeit wollte er nutzen, um nochmals in ganz andere Themenbereiche als die der Bau- und Immobilienwirtschaft zu schnuppern. Kurse in Machine Learning und Data Science belegte er u.a. – und arbeitete sich immer tiefer in die Materie ein. Schließlich hatte er eine Fragestellung für seine Masterarbeit formuliert und Kontakt mit Jens Winter aufgenommen, der die Idee genauso spannend fand wie der Master-Student. „Wenn Twitter die Aktienkurse zwitschert“ lautet der Titel der Masterarbeit und eines gleichnamigen Artikels, den Noah Stoll und Jens Winter gemeinsam für das Jahrbuch der Fakultät geschrieben haben, das im März dieses Jahres herausgebracht wird.

Unser Bild zeigt Noah Stoll vor einem Modell des Tucherparks in München, einem der, wie der Biberacher Absolvent findet, „spannendsten und nachhaltigsten Quartiersentwicklungen in Deutschland derzeit."

Student, Noah Stoll steht vor einem Modell des Tucherparks München
Student, Noah Stoll steht vor einem Modell des Tucherparks München

Im Vorfeld der Publikation hat der Absolvent seine Vorgehensweise beschrieben: Allem zugrunde liegt die Überlegung, ob die Stimmungen, die die User via X transportieren, systematisch erfasst und ausgelesen werden können. „Unfassbar viele Menschen tuen täglich ihre Meinung kund“, so Noah Stoll, „sie äußern sich mal positiv, mal verhalten, mal ausgeglichen – und immer öffentlich“. Mit einem Sprachmodell – Natural Language Processing (NLP) – hat der Absolvent circa 33 000 Tweets genauer analysiert und basierend darauf Kursbewegungen prognostiziert.

Über einen Zeitraum von mehreren Wochen hat er die Social-Media-Daten, insbesondere Tweets der Plattform X dafür mittels einer sogenannten Sentimentanalyse zur Vorhersage von Kursbewegungen genutzt. Dafür setzte er moderne NLP-Modelle wie BERTweet und FinBERT ein. Im Ergebnis konnte er nachweisen, dass sich kurzfristige Kursbewegungen des S&P 500, also einem der wichtigsten Aktienindex weltweit, der die Aktien von 500 der größten börsennotierten US-amerikanischen Unternehmen umfasst, bereits mit einem überschaubaren Ressourceneinsatz mit hoher Genauigkeit prognostizieren lassen. „Das Besondere an diesem Ansatz ist, dass er die Prognose auf Basis der Stimmung quasi in Echtzeit ermöglicht. Die klassischen Sentimentanalysen wie das ifo-Stimmungsbarometer erklären Aktienentwicklungen stets mit mehrmonatigem Verzug“, hebt Jens Winter hervor.

Ob er mit dieser Idee ein eignes Business gründen will? Noah Stoll lacht, winkt aber ab: „Die Modelle haben funktioniert, benötigen aber enorm viel Rechnerkapazität und eignen sich deshalb nicht für den Echtzeitbetrieb“, erklärt er. Die Skills, die er für seine Masterarbeit erworben hat, kann er aber dennoch nutzen. Nach dem Studium an der HBC ist er zu einem Asset-Manager nach Wiesbaden gewechselt und arbeitet dort in der Projektentwicklung für Neu- und Bestandsentwicklungen eines offenen Immobilienfonds. Sein Team berät Noah Stoll zu den aktuellen Entwicklungen auf dem Gebiet der Künstlichen Intelligenz und bietet somit die Schnittstelle zum IT-Team. So führt er beide Kompetenzen zusammen.

Auf die Zeit seiner Masterarbeit blickt Noah Stoll mit Stolz zurück, erinnert sich aber auch an die Phasen, in denen er „an seine persönlichen Grenzen kam“. Der Umgang mit der Technik ist für jemanden, der kein Informatiker ist, eben doch eine Herausforderung.  „Um so mehr habe ich mich gefreut, dass alles funktioniert hat“, sagt der Absolvent. Sein Studium an der Hochschule Biberach hat er als „große Chance“ erlebt, u.a. das Auslandssemester in Irland. Als er sich 2018 für den Bachelor entschied, hatte er sich nicht vorstellen können, einmal so tief in die Bereiche Aktienmärkte und KI hineinzutauchen. Und in Jens Winter habe er einen Betreuer gefunden, der interessiert war, Spaß am Thema hatte und selbst auf dem Stand der aktuellen Technik war. „Das war eine sehr gute Konstellation“, die ihn auch bei der Stange hielt, wenn ihn seine Masterarbeit einmal zweifeln ließ.