Dr. Annika Röcker ist seit Oktober 2024 Gastprofessorin an der Fakultät Biotechnologie der Hochschule Biberach und hilft, den neuen Studiengang „Medizinische Biotechnologie“ zu etablieren. Hier erzählt sie, warum es sich lohnt, seine Komfortzone zu verlassen und neue Wege zu gehen. 

Wer neue Therapien entwickeln möchte, muss neue Wege gehen. Altes Wissen hinterfragen, Paradigmen brechen. Das erfordert Mut. Man muss in sich und seine Ideen vertrauen, sie verteidigen - und auch einsehen, wenn man sich verrannt hat. Rückschläge gehören dazu. Ich möchte die Studierenden ermutigen, ihren eigenen Weg zu gehen. Dieser muss nicht schnurgerade sein. Meiner war es auch nicht.

Als Jugendliche wollte ich vor allem sein wie alle anderen - „normal“ eben. Doch ich war anders: schüchtern, nachdenklich. Am liebsten las ich oder blätterte in wissenschaftlichen Zeitschriften, die mein Vater abonniert hatte. Die Themen meiner Klassenkamerad*innen interessierten mich nur am Rande. Also stand auch ich am Rand. Heute würde man sagen: Ich wurde gemobbt. Zum Glück zogen meine Eltern die Notbremse. Mitten im Schuljahr wechselte ich von der Realschule aufs Gymnasium. Meine Eltern waren sicher: „Du schaffst das.“

Anfangs hagelte es Fünfen und Sechsen. Das war ich nicht gewohnt. Üblicherweise schrieb ich Einsen und Zweien, ohne große Anstrengung. Eigentlich war allen klar, dass ich aufs Gymnasium gehöre: den Lehrern, meinen Eltern (Kompass 4 gab es damals noch nicht). Doch ich wollte partout auf die Realschule gehen - „so wie alle“.

Die schlechten Noten weckten meinen Ehrgeiz. Ich arbeitete hart, fand Freunde mit ähnlichen Interessen und merkte, dass „normal“ nur eine Frage der Perspektive ist. Natürlich kann man sich nicht immer aussuchen, mit wem man sich umgibt. Doch wenn man sich auf das konzentriert, was einem liegt, findet man in der Regel Menschen, die einen unterstützen und weiterbringen. Nach dem Abitur studierte ich „Life Science“ an der Universität Konstanz, quasi eine Mischung aus allen Naturwissenschaften. Das war nicht leicht, aber ich kämpfte mich durch. 

Frau steht vor einer blauen Tafel
Frau steht vor einer blauen Tafel

Im Studium lernte ich, dass es sich lohnt, seine Komfortzone zu verlassen. Natürlich ist es einfacher, alles so zu machen wie die anderen. An der selben Uni zu bleiben, womöglich in der selben Arbeitsgruppe. Doch man lernt mehr, wenn man sich fragt: Was interessiert mich wirklich? – und entsprechend nachjustiert. Nicht umsonst heißt es: Wachstum beginnt am Ende der Komfortzone. So verschlug es mich zwischenzeitlich nach Freiburg, Schweden - und zur Doktorarbeit zurück nach Ulm.

Wie es winzige Partikel mit einer Hand voll Genen schaffen, einen Menschen krank zu machen, faszinierte mich schon immer. Deshalb promovierte ich am Institut für Molekulare Virologie. Die Forschung an Viren interessiert mich noch immer. Doch jahrelang an winzigen Details zu arbeiten, reichte mir irgendwann nicht mehr. Ich wollte mein Wissen weitergeben, auch andere Gebiete kennenlernen. Also absolvierte ich ein Fernstudium und ein Volontariat. Danach arbeitete ich ein paar Jahre als Medizinjournalistin - bis die nächste Herausforderung rief.

Beim ersten Mal haben mich meine Eltern ins kalte Wasser geschubst. Dann bin ich selbst gesprungen: Ins Studium, die Promotion und schließlich in den Journalismus. Mein Weg war oft unbequem, aber er hat mich perfekt auf meine jetzige Aufgabe vorbereitet: Medizinische Themen vermitteln und andere inspirieren. Ohne Menschen, die neue Wege gehen und anecken, wären wir in Medizin und Technik längst nicht so weit. Wir brauchen dringend mehr davon!