


Die Herausforderungen und Chancen der Therapeutika von morgen standen im Fokus des Neujahresempfang der Fakultät Biotechnologie der Hochschule Biberach (HBC): Professorin Dr. Kerstin Otte führte kurzweilig durch den spannenden Abend und freute sich sichtlich über die Vortragenden, die sie für den Abend gewinnen konnte, sowie über den Mix aus zahlreichen regionalen Akteur*innen aus Wirtschaft, Politik und Hochschule, die der Einladung gefolgt waren. Und der Abend zeigte, sie alle eint ein Interesse an neuartigen Therapien – von der klinischen Herstellung, über die akademische Ausbildung bis hin zu den Unternehmen in der Region, die Biopharmaka herstellen.
Den Auftakt machte Prof. Dr. Catherine Green, die an der University of Oxford als Head of Clinical BioManufacturing Facility tätig ist. In ihrem Vortrag berichtete die hochrangige Wissenschaftlerin von ihrer Arbeit – sehr humor- und temperamentvoll skizzierte sie in ihrem kurzweiligen Vortrag, vor welchen Aufgaben die Wissenschaft im Bereich der modernen Impfstoffentwicklung steht. Dabei blickte sie auch auf ihre Arbeit während der Corona-Pandemie zurück: Ihr Team suchte von Beginn der Pandemie an nach Lösungen für einen Impfstoff: „Wir haben die ganze Zeit unter Hochdruck geforscht, während es anderen Leuten verboten war, zu arbeiten“, so Green. Als im Januar 2020 alle darüber nachdachten, was nun zu tun sei, hatte sie mit ihrem Team bereits angefangen. Schließlich gelang es ihnen, den ersten in der EU verfügbaren Impfstoff Vaxzevria zu entwickeln. „Das war eine bahnbrechende Errungenschaft“, sagte Green, die auch von dem immensen Zeitdruck berichtete, der auf der Wissenschaft in dieser Zeit lag: „Wir wussten die Lösung, aber es war unmöglich, den Impfstoff in der Zeit zu entwickeln, die die Menschen erwartet haben.“
Prof. Dr. Catherine Green skizzierte auch weitere Erfolge ihres Institutes, etwa der Malaria-Impfstoff R21: Acht Jahre lang haben die Wissenschaftler*innen von Beginn der Entwicklung bis Verfügbarkeit geforscht. Die erste Charge sei innerhalb eines Jahres produziert worden, „das ist nicht, was man in einer Pandemie braucht, es muss schneller gehen“, so der Apell der Expertin. Green machte deutlich, welche Expertise das Institut in der Herstellung von Impfstoffen gegen Krankheiten hat, dafür werde jeweils dieselbe Plattform genutzt, das mache es „einfach und günstig“. Auch könne man einem Virus den Bauplan für verschiedene Proteine hinzufügen, die in den Zellen abgelesen werden. So entstehe eine Immunreaktion, es würden Antikörper gebildet und die infizierten Zellen getötet.
Weitere Vorträge an diesem Abend befassten sich mit mRNA-basierten Wirkstoffen und den Potenzialen onkolytischer Viren in der Behandlung von Krebs. Referent Dr. Christoph Keysberg (BioNTech SE, Heidelberg) war selbst einmal Mitglied der Biberacher Fakultät, Dr. Raphael Drerup ist Mitarbeiter bei Boehringer Ingelheim. Keysberg erläuterte das Prinzip der mRNA Impfung, für das ein bestimmtes Protein in Zellen gegeben wird. Dabei zeigte er auf, dass BioNTech in der Therapie von Krebserkrankungen den Ansatz verfolge, nicht ein Zielprotein anzugreifen, sondern mehrere. „Krebs ist eine komplexe Erkrankung, die sich ständig verändert“. Deshalb müsse man verschiedene Treatments kombinieren und dafür mehrere mRNAs entwerfen. Dafür gebe es zwei Möglichkeiten: Entweder viele Krebsmarker in einem Standardmedikament zu implementieren, das viele Patient*innen erhalten können, oder für jeden Einzelnen Neoantigene zu identifizieren und entsprechende mRNAs zu entwerfen. Dabei stellte Keysberg die jeweiligen Vor- und Nachteile dar und erläuterte die Herstellungsprozesse. So dauere der individuelle Behandlungsweg oft länger, die Zeit aber sei begrenzt, denn „es geht um das Leben der Patienten.“
Raphael Drerup ist Experte für ATMP development (Advanced Therapy Medicinal Products), also Arzneimittel für neuartige Therapien. Für diesen Bereich hat das Unternehmen Boehringer Ingelheim in Ochsenhausen in den vergangenen Jahren einen neuen Standort aufgebaut. In seinem Vortrag berichtete er von seinem Forschungsansatz, der versucht, „kalte“ in „heiße“ Tumore zu verwandeln. Das bedeutet: Ein Tumor, der sich zunächst vor dem Immunsystem verstecken kann, wird durch die gezielte Vergabe von Viren enttarnt. Die Viren, die die Wissenschaftler*innen einsetzen, sind für den Menschen ungefährlich; auf sie werden zusätzliche Proteine geladen, um das Immunsystem noch mehr anzuregen. Insbesondere in erkrankten Zellen kann sich das Virus vervielfältigen – und tötet die Krebszellen so ab.
Beim anschließenden Empfang hatten die rund 100 Gäste ausreichend Gelegenheit, sich über den fachlichen Input der Referent*innen auszutauschen und neue Kontakte zu knüpfen. Schließlich hatte die Hauptrednerin Prof. Dr. Catherine Green schon im Vortrag angeboten: „Das können wir später besprechen“.
Neuer Studiengang Medizinische Biotechnologie
Zu diesen Gesprächsthemen gehörten auch die Forschungsprojekte des Instituts für Angewandte Biotechnologie der HBC, die die wissenschaftliche Leiterin, Prof. Dr. Katharina Zimmermann vorstellte. Spannend für die Teilnehmenden war auch die Information über ein neues Studienangebot, das die Hochschule Biberach ab dem kommenden Wintersemester anbietet: Das Studium der Medizinischen Biotechnologie (Bachelor of Science) wird künftig die bereits bestehenden Studiengänge Pharmazeutische und Angewandte Biotechnologie ergänzen und Interessierten eine weitere Möglichkeit geben, ein naturwissenschaftliches Studium an der HBC zu absolvieren, das Biotechnologie und Medizin miteinander verbindet. Die Vorträge des Abends hatten aufgezeigt, wie wichtig diese Sparte der Biotechnologie ist – und wie gefragt die Absolvent*innen sein werden.