Wie lassen sich Fachinhalte aus der Betriebswirtschaftslehre verständlich und zugleich praxisnah vermitteln? Jens Winter, seit 2014 Professor an der Hochschule Biberach, stellt sich dieser Frage mit einem didaktischen Konzept, das auf digitale Formate, reale Szenarien und enge Zusammenarbeit zwischen Lehrenden und Studierenden setzt.
In der Masterveranstaltung „Asset- und Portfoliomanagement“ lernen Studierende nicht nur die Theorie des Investierens, sondern wenden ihr Wissen direkt in einem mehrstufigen Realplanspiel an. Sie übernehmen in Teams die Rolle von Vermögensmanager*innen einer Bank, die das Kapital realitätsnaher Kund*innen verwalten – fiktive, aber detailliert ausgearbeitete Persona, die sich in ihren Werten, Lebenssituationen und Erwartungen deutlich unterscheiden.
„Dadurch kommen die Studierenden unmittelbar in die Anwendung von Theorie in der Praxis – mit allen Baustellen, denen man da begegnet“, beschreibt Winter seinen Ansatz. Die Studierenden erstellen Kundenprofile, entwickeln darauf basierend Investmentstrategien und setzen diese auf dem realen Kapitalmarkt um. Dabei müssen sie Marktveränderungen beobachten und in ihren Portfolios berücksichtigen.
„Der Bezug zum realen Kapitalmarkt, der auch für uns Lehrende nicht vorhersagbar ist, unterscheidet das Konzept von einem Planspiel“, erläutert Winter. Winter ist dabei nicht alleine: Michael Urban und Stephan Belser, beide hauptberuflich in der Finanzbranche, bringen ihre Expertise als Lehrbeauftragte ein. Gemeinsam mit Winter schlüpfen sie in unterschiedliche Rollen: als Kunde, Beobachter, Coach, Prüfer oder ganz klassisch als Lehrender. Die Leistungsnachweise erfolgen kontinuierlich über das Semester hinweg – unter anderem in Form von Wissenstests, schriftlichen Analysen und Gesprächssimulationen. „Wichtiger als die Note ist uns die direkte Rückmeldung, die wir den Studierenden geben“, sagen die Drei unisono.
Lernen über Rollen und Verantwortung
Die Lehrform soll Fachwissen mit Anwendungskompetenz und Reflexion verbinden. „Ziel ist es, Studierende in ihren individuellen Lernprozessen zu aktivieren“, sagt Winter. Die Rückmeldungen aus der Lehrveranstaltung fallen entsprechend positiv aus: „Man war wirklich aktiv eingebunden“, so Masterstudentin Meryem Temizyürek. „Ich habe gelernt, wie wichtig Vorbereitung, Kommunikation und Zusammenarbeit sind – das nehme ich für meinen Beruf mit.“
Ergänzt wird das neue Lehrkonzept durch ein begleitendes Forschungsprojekt mit der Didaktikbeauftragten der Hochschule Biberach, Henrike Mattheis. Es untersucht, inwieweit sich durch die neue Struktur nicht nur Fach-, sondern auch soziale und personale Kompetenzen entwickeln lassen.
Digitale Lehre konsequent weitergedacht
Hierfür setzt Winter auf neue Lernformate. Studierende bereiten sich mithilfe kurzer Erklärvideos selbstständig auf die Präsenzveranstaltung vor. Die Präsenzzeit wird dann für Kundengespräche, Teamdiskussionen und Gruppenarbeit genutzt. So entsteht Raum für individuelle Fragen und vertiefendes Lernen.
Für Winter ist diese Art der Lehre Teil einer Haltung: Inhalte sollen nicht nur vermittelt, sondern verstanden und anwendbar gemacht werden. Das bedeutet auch, über Fachgrenzen hinauszudenken – etwa wenn die Fachinhalte in Asset- und Portfoliomanagement um ein Modul zu Finanzethik ergänzt wird. „Investitionen in Rüstungsunternehmen waren vor fünf Jahren ein No-Go für viele Menschen. Nachdem deren Aktienkurse in den letzten Jahren sehr gestiegen sind, sind gerade für viele sehr in“, beschreibt Winter plakativ und ergänzt: „Aber ob man das selber will, muss jeder mit sich selbst ausmachen.“ Und deswegen werden die Studierenden auch von ihren Kunden immer wieder in solche ethische Dilemmasituationen geführt.
Auszeichnung für innovative Lehre
Jens Winter wurde gemeinsam mit Renate Stratmann derzeit für die Erprobung des obigen Konzepts vom Stifterverband und dem Land Baden-Württemberg mit einem Lehrfellowship gefördert. Zudem wurde er als Mitglied der Akademie Ausgezeichnete Hochschullehre e.V. aufgenommen. Der Verein ist ein Netzwerk besonders aktiver Lehrender aller Statusgruppen und Fachrichtungen an staatlichen und privaten Hochschulen in Deutschland, die sich durch innovative Lehrmethoden oder -projekte sowie außergewöhnliches Engagement für die Hochschullehre und deren Weiterentwicklung auszeichnen.