Ist Künstliche Intelligenz kreativ? Dieser Frage gehen zwei Dozentinnen der Hochschule Biberach (HBC) im aktuellen Sommersemester nach. Prof. Dr. Henrike Mattheis und Dr. Isabell Osann erforschen, ob generative KI einen Design-Thinking-Prozess unterstützen kann. Diese Methode wird zur Lösung von komplexen Problemen eingesetzt, etwa um fiktive Geschäftsmodelle zu entwickeln. Dabei steht der Nutzer im Fokus der Überlegungen und anhand von Prototypen werden die entwickelten Ansätze bereits im Prozess auf ihre Tauglichkeit geprüft. Im Design-Thinking-Labor entwickeln die Studierenden dafür in Gruppen ihre Geschäftsidee und durchlaufen verschiedene Stufen zur Erstellung eines Businessplans unter Leitung Prof. Dr. Jochen Weilepp, Dekan der Fakultät BWL. Abschließend präsentieren sie ihre Ergebnisse einer von ihm geleiteten Jury, der auch externe Expert*innen angehören wird.
Soweit ein normales Seminar der Fakultät BWL. In diesem Semester wollen die Dozentinnen KI in den Prozess integrieren und der künstlichen Intelligenz fünf Schlüsselrollen übertragen, um herauszufinden, ob der Innovationsprozess so effektiv unterstützt werden kann. Für dieses gemeinsame Lehr- und Forschungsprojekt haben sie sich Unterstützung von dem Gastdozenten Michael Barton geholt. Barton ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Service und Relationship Management der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Universität Leipzig. Sein Arbeitsschwerpunkt liegt im Bereich generative KI im Personalmanagement.
Die Idee: „Wir wollen die KI sowohl als Analyst für fundierte Daten, Markttrends und Strukturen zu nutzen, als auch zur Spiegelung von Kundenperspektiven, als Ideengeber für kreative Lösungsansätze, als Designer zur Visualisierung zukunftsweisender Geschäftsmodelle und als Coach zur zielgerichteten Aufgabenbearbeitung in Teams“, erläutert Prof. Dr. Henrike Mattheis, die die Didaktikbeauftragte der HBC ist.
In ihrem gemeinsamen Workshop „Strategisches Management/ Entrepreneurship“ zum Thema Nachhaltigkeit kombinierten die Dozent*innen also den kreativen Problemlösungsprozess des Design Thinking mit den Möglichkeiten generativer KI, um aus Resten, die in den unterschiedlichsten Kontexten entstehen, ein Geschäftsmodell zu entwickeln. Hier zeige sich der besondere Mehrwert von KI im Design Thinking, erläutert Isabell Osann, denn „es konnten rasch gut testbare Prototypen entwickelt werden, was die Teams nachhaltig motiviert hat,“ berichtet Isabell Osann.
Um es vorwegzunehmen: Entstanden sind spannende Ideen zur Verwertung von Reststoffen, etwa die Vermittlung von übriggebliebenen Materialien auf Baustellen oder hochwertigen Metallen wie Kupfer mithilfe einer App, die Herstellung von Kinderspielzeug aus Totholz sowie Golftees aus Gummiresten, also Stiften, die man zum Abschlag an den Golfball legt. Auch konnten die Teams praktische Tipps für den Bau eines physischen Prototyps bei der KI in Erfahrung bringen.
In einem ersten Coaching unter der Leitung von Michael Barton wurde die Entwicklung einer Geschäftsidee mittels KI unterstützt und die von Isabell Osann beschriebenen KI-Rollen eingeführt. Michael Barton legte neben der Anwendungskompetenz großen Wert auf die Vermittlung eines tiefen Bewusstseins für den verantwortungsvollen Umgang mit KI. „Generative KI mag auf den ersten Blick wie eine bequeme Abkürzung erscheinen, wirklich hochwertige Ergebnisse jedoch verlangen ein gewisses Maß an Kompetenz, kritischer Reflexion und ein klares Verständnis für Potenziale und Grenzen von KI“. „Es war beeindruckend zu erleben, wie vielfältig KI bei der Entwicklung von Geschäftsmodellen eingesetzt werden kann“, berichtet David Simma. Sein Kommilitone Till Scharmann nennt ein Beispiel: „Mit KI können wir Nutzerfeedback effizient auswerten und Prototypen schnell anpassen, das erspart Zeit und Aufwand.“


Im zweiten Schritt unterstützte Michael Barton die Studierenden bei der konkreten Erstellung von Prototypen mit KI. Exemplarisch entstand so ein Modell für die Plattform, mit der ein Team Restmaterialien von Baustellen vermittelt möchte. Mit ihren neu erworbenen Prompt-Kompetenzen entwickelten die Studierenden anschließend ein App-Mock-up. „Beide Prototypen – Webseite und App – wirkten hochprofessionell und ermöglichten es der Gruppe, ihre Geschäftsidee konkret mit potenziellen Nutzern zu testen, zu überprüfen und weiterzuentwickeln“, berichtete Henrike Mattheis. Darüber hinaus zeigte Michael Barton, wie mit wenigen Prompts FAQs für Webseiten erstellt und diese mit scheinbar echten, aber KI-generierten Kundenfeedbacks angereichert werden können. „Die Studierenden schwankten in ihren Reaktionen zwischen Faszination über die Möglichkeiten und Bestürzung über die daraus resultierende Unsicherheit, was man noch glauben kann“, berichtet die Professorin.
„Für die nächste Generation von Designer*innen sind Lehrformate wie unseres von entscheidender Bedeutung“, ist sich Didaktikbeauftragte Henrike Mattheis sicher und Michael Barton ergänzt: „Entscheidend ist die Fähigkeit, zwischen echter kognitiver Entlastung und bloß scheinbarem Effizienzgewinn zu unterscheiden“, so Barton. Und aus der Perspektive der Forschung? Design Thinking sei mehr und bleibe mehr als ein Werkzeugkasten für kreative Teamarbeit, fasst Isabell Osann die Ergebnisse zusammen: „Es ist eine Haltung, die den gemeinsamen Weg zu nachhaltigen und praxisnahen Lösungen ebnet“.

Prof. Dr. jur. Henrike Mattheis
