Kann ein bebautes Quartier eine höhere Biodiversität aufweisen als ein Maisacker? Dieser Frage sind jetzt Masterstudierende der Hochschule Biberach (HBC) nachgegangen. An einem konkreten Beispiel konnten Sie beweisen: Ja, das geht!
Doch von vorne: Die Gemeinde Herbertingen im Landkreis Sigmaringen zählt aktuell rund 5.000 Einwohner. Wie überall in Baden-Württemberg ist auch hier die Nachfrage nach bezahlbaren Grundstücken hoch, weshalb neue Baugebiete ausgewiesen werden sollen. Gerade im ländlichen Raum seht allerdings oft der Vorwurf im Raum, dass in den neuen Baugebieten „Luxus-Einfamilienhäuser“ entstünden, die sich nur noch ein bestimmtes Publikum leisten könne – auf Kosten der Natur und ohne an preiswerten Miet-Wohnraum zu denken. Die Gemeinde Herbertingen will unbedingt vermeiden, kostbares Ackerland in eine öde Schotter- und Pflasterwüste zu verwandeln.
Eine Thematik, mit der sich die HBC nicht nur in diesem konkreten Fall befasst. Die Entwicklung des sogenannten urbanen Lands, also der Regionen, die sich im Laufe der Zeit nach und nach von einer ländlichen Prägung hin zu einer städtischen wandeln, ist in vielen Fachbereichen der Hochschule immer wieder Thema – vom Mobilitätskonzept bis hin zur möglichen Bebauung.
„Zunächst haben wir uns eingehend mit den Gegebenheiten in der Gemeinde befasst: Infrastruktur, Topologie, Hochwassergefahr, Lärmbelastung. So wurde auch schnell das Potential des Standorts deutlich,“ berichtet Prof. Dr.-Ing. Hannes Schwarzwälder, der das Projekt gemeinsam mit seinem Kollegen Gerhard Lutz betreut hat. „Es ist unbestreitbar, dass mehr Wohnraum geschaffen werden muss, nicht nur in Herbertingen. Die Frage ist die Art und Weise.“ Drei Grundsätze wurden deshalb für die 78.000 Quadratmeter große Fläche, die zu Herbertingens neuem Baugebiet werden könnte, festgelegt: Gemeinschaft, Regionalität und nachhaltige Lebensweise. „Unser Ziel war es, urbane Strukturen im ländlichen Raum zu integrieren und gleichzeitig das Klima und die Ökologie zu schonen,“ erläutert Masterstudent Dominik Trefzer.
Um möglichst viele Menschen in dem Gebiet unterzubringen und gleichzeitig eventuelle Leerstände in der Zukunft zu vermeiden, wurden sieben flexible Gebäudetypen für das Modell gewählt. Sie sollen eine schnelle Reaktion auf gesellschaftliche Veränderungen ermöglichen.
Das futuristischste Modell ist dabei wohl das Gebäude „Honeycomb“, das in seiner Optik an Bienenwaben erinnert. Es besteht aus mehreren sechseckigen Modulen, die jederzeit verändert und an individuelle Bedürfnisse angepasst werden können. „Wir haben bewusst auf eine Mischung aus größeren Wohneinheiten, modernen Reihenhäusern und Gemeinschaftsgebäuden gesetzt. Vom Tiny House bis zum „Business Cube“, der Gewerbe und Wohnungen beheimatet, ist so die Erfüllung vieler individueller Lebenswünsche in einer Siedlung möglich,“ so Schwarzwälder. Grünflächen, Gewächshäuser und große Anbauflächen runden das Paket ab.
Neben der baulichen Gestaltung stellten die ProjektmanagerInnen der HBC auch mögliche Mietpakte für unterschiedliche Bedürfnisse von Pendlern, Senioren und Familien zusammen. Das ausführliche Mobilitätskonzept befasst sich vor allem mit der Elektromobilität, passend dazu gibt es Untersuchungen zur nachhaltigen Energiegewinnung. Die Anforderungen, die durch klimawandelbedingte Extremwetterlagen entstehen, werden ebenso berücksichtigt wie die Nahversorgung – vom Arzt bis zum Life Coach. Das klingt futuristisch und vor allem teuer. „Aufgrund der nachhaltigen und innovativen Ausrichtung des Projekts könnte bei der Realisierung auf eine große Bandbreite an Fördermöglichkeiten gesetzt werden,“ entkräftet Schwarzwälder die Kritik.
Im Rahmen der Projektarbeit ist ein belebtes Wohnquartier entstanden, das nicht nur für unterschiedliche Bevölkerungsgruppen ausgelegt ist, sondern auch naturnah gestaltet wäre und eine sehr gute Ökobilanz aufzeigt – besser als die der unbebauten Fläche. Ein Konzept, das von seiner Grundidee her auf verschiedene Gemeinden angewendet werden und so das Leben auf dem Land wieder attraktiver und nachhaltiger machen kann.