


Er liebt das Experiment: In seiner Vorlesung „Transformationsmanagement“ hat Prof. Dr.-Ing. Christof Gipperich, der an der Hochschule Biberach (HBC) u.a. Projektmanagement lehrt, im vergangenen Semester deshalb Studierende nicht nur wie üblich gebeten, die Organisation einer Baufirma zu transformieren, sondern vorgeschlagen, dass sich die Master-Gruppe einer größeren Struktur zuwendet: Deutschland. Eine zentrale Frage für die Projektmanager dabei war die nach der Finanzierung: Schuldenbremse, Erbschaftssteuer, Bürgergeld… – „Wie viel finanzielle Mittel fehlen dem Land tatsächlich bzw. wo kann eingespart werden“, lautete die Aufgabe.
„200 -300 Mrd. € fehlende Mittel findet man schnell, aber auch reichlich und ausreichend Einsparungspotential“, berichtet Gipperich von den Analyse-Runden, für die sie u.a. die aktuellen Wahlprogramme studierten. Schnell merkten die Studierenden dabei, dass an allen Ecken und Enden gespart werden muss und es nur funktionieren kann, wenn alle den Gürtel enger schnallen. Denn der Staat hat viele und wachsende Verpflichtungen, die er nicht aussetzen kann, Gipperich nennt beispielhaft Militär, Infrastruktur, Rente und Krankenkassen.
Doch geht es dem Professor weniger um das konkrete Thema, sondern vielmehr um die Methode. Dabei verbindet er seine Aufgabenstellung mit dem Einsatz Künstlicher Intelligenz. Und vor allem: Er geht mit einer ersten Idee in den Austausch mit den Studierenden, um das Seminar gemeinsam mit ihnen zu entwickeln. „Ich hatte eine Vorstellung, wohin das Ganze gehen soll, wollte aber einen agilen Prozess auf Augenhöhe und mit offenem Ende gestalten“, so Gipperich, der sich als Moderator versteht, Zeit und Struktur vorgibt. Ihre Diskussionen nehmen die Masterstudierenden mit KI-basierter Audiosoftware auf, die Tonaufnahmen– „die reinste Kakophonie“ lassen sie erneut durch ein KI-Tool laufen und bearbeiten die Skripte anschließend händisch nach. Am Ende wollen sie – wiederum mithilfe von KI – einen Fragenkatalog als Grundlage für die abschließende Prüfung generieren.
Haben sie also gemeinsam ganz nebenbei die Lehre transformiert? Bei den Masterstudierenden kam das Format jedenfalls gut an, bei dem der Professor mehr Prozessbegleiter (Alternativer Lern-Coach) ist, der mit gezielten Fragen neue Perspektiven eröffnet oder seine Meinung zu Fragestellungen der Studierenden einbringt, denn der Lehrer im Frontalunterricht ist. Die Verbindung von Thema und digitaler Technologie bewerten die Teilnehmenden ebenso als spannend.
„Ich habe besser verstanden, wie eine Geschäftsführung vorgeht und wie man selbst reagieren würde“, sagt zum Beispiel Vincent Baumann (26). Die seminaristische Vorlesung, die Einblicke in kleine und große Strukturen von Unternehmen und einem Staat gab, fand er interessant.
Positiv blickt auch Leo Moliner (27) auf das vergangene Semester: „Am Anfang habe ich nicht kapiert, wie die Vorlesung aufgebaut ist“, räumt er ein, aber der Professor habe ihn gut abgeholt. Der Einsatz der KI, um zum Beispiel Zahlen und Fakten zu finden und dann gemeinsam zu überprüfen, habe die Analyse beschleunigt und die Zusammenarbeit dynamisch werden lassen. „Wir konnten live abwägen“, sagt er und benutzt dafür ein neues Wort: Mit „gippen“ bezeichnen die Studierenden adäquat zum Googlen die Befragung von ChatGPT. Erfunden hat den Begriff Katharina Linde (23). Auch sie gibt ein Feedback zur Arbeit mit der KI: „Man muss sich Zeit für die Überarbeitung der Skripte nehmen“, dann profitiere man auch von der maschinellen Assistenz, beschreibt sie ihr Learning. Jakob Kienzler gefiel die Beschäftigung mit den politischen Themen und den Wahlprogrammen der Parteien. „Ich habe nun mehr Hintergrundwissen und bin diskussionsfester“, so der 25-Jährige.
Zum Abschluss lässt Christof Gipperich seine Master-Studierenden nochmals eine Fragestellung in kleinen Gruppen diskutieren, deren Antworten sie dann in kurzen Sessions pitchen: „Wie gelingt es euch einen Transformationsprozess umzusetzen?“. Zentral wird das Thema Vertrauen sein, denn ohne gelingt kein Wandel – weder im kleinen, noch im großen Maßstab. Der Professor ist zufrieden mit den Ergebnissen dieser Runde – und dem Experiment.